Wussten Sie, dass sich Wespen das Gesicht eines Menschen merken können und, dass die männlichen Wespen eigentlich nicht stechen? Umso aggressiver reagieren besonders die Weibchen im Spätsommer. Nun steigt das Risiko für Wespenstiche und damit vor allem für Patientinnen und Patienten mit einer Insektengiftallergie. Wo der eine mit einer lässigen Handbewegung die Wespe wegscheucht, geraten andere wiederum in Panik. Die Panik kann jedoch durchaus berechtigt sein, denn bei einigen Menschen kann ein Wespenstich nicht nur sehr unangenehm sondern auch gefährlich werden.
Dr. med. Patrick Boeßert, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen-, und Ohrenheilkunde am AMEOS Klinikum Haldensleben, erklärt Ihnen wie Sie sich im Fall eines Insektenstiches verhalten sollten und ob es sich um eine allergische Reaktion handelt.
Herr Chefarzt, wann spricht man überhaupt von einer Allergie auf einen Insektenstich?
Eine allergische Reaktion auf einen z. B. Wespen-, Bienen-, aber auch Hummel- und Hornissenstich kann sich durch verschiedene Symptome zeigen. Die Gifte sind sich ähnlich. Die Insekten gehören zu den so genannten Hautflüglern (Hymenoptera). Das Insektengift löst im Allgemeinen eine lokale Reaktion mit Rötung, Schwellung und Juckreiz aus. Eine Allergie bezeichnet eine überschießende, krankhafte Reaktion des Körpers auf Bestandteile des Giftes. Dabei handelt es sich um, über die lokale Reaktion hinausgehende, Symptome wie z.B. generalisierte Hautrötung, Übelkeit, Erbrechen, Luftnot bis hin zum lebensgefährlichen Kreislaufschock. Die kritischen allergischen Reaktionen, auch
Anaphylaxie genannt, sind in verschiedene Grade eingeteilt.
Wie verhalte ich mich nach einem Insektenstich?
Falls ein Stachel vorhanden ist, sollte dieser entfernt und die Stelle gekühlt werden. Bei weitergehenden Beschwerden, insbesondere Luftnot, Kreislaufreaktion oder Übelkeit sollte dringend ärztliche Hilfe gesucht werden.
Sehr wichtig für eine eventuell weitere Behandlung ist, um welches Insekt es sich eigentlich handelt. Eventuell kann der Verursacher mitgebracht oder zumindest fotografiert werden. Vielen Menschen fällt die Unterscheidung zwischen Biene oder Wespe schwer, auch weil es sich im Moment eines Stiches um eine stressige und schmerzhafte Situation handelt.
Was ist zu tun, wenn sich eine erstmalige allergische Reaktion auf einen Insektenstich zeigt?
Es ist erst einmal zu unterscheiden, um welche Stärke der allergischen Reaktion oder Anaphylaxie es sich handelt: Bei umschriebenen Quaddeln, Juckreiz, Hautrötung im Gesichts- und Dekolleté Bereich kann eine lokale Therapie mit z. B. Fenistilgel, Kühlung und ggf. die Einnahme eines Antiallergikums, wie z. B. Cetirizin, ausreichend sein.
Kommt es aber zu Symptomen wie zum Beispiel Schwellung im Mundbereich, Brennen der Hand- und/oder Fußsohlen, Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfen, Angstgefühl und/ oder Schwindel, ist eine notfallmäßige Behandlung dringend erforderlich. Also sofort den Krankenwagen rufen! Die Symptome können sich weiterhin dramatisch steigern.
Was ist mit den Patientinnen und Patienten, die bereits mehrmals auf Insektenstiche allergisch bzw. anaphylaktisch reagiert haben? Bei den Betroffenen, die bereits allergisch auf einen z. B. Wespenstich reagiert haben, ist vom ärztlichen Personal ein Notfallmedikamentenset zu verschreiben und den Betreffenden in der Anwendung zu schulen. Dieses Notfallset ist während der so genannten Expositionszeit dauernd bei sich zu tragen.
Auch gibt es Vorsichtsmaßnahmen wie z. B. den Check von Getränken vor dem Verzehr, Vorsicht bei schwüldrückendem Wetter, Essen im Freien meiden, Durchführen ruhiger Bewegungen, möglichst kein Barfußlaufen oder Tragen heller Kleidung. Bei bekannten allergischen Reaktionen auf Insektenstiche ist dringend eine weitere allergologische Diagnostik und ggf. Therapie angezeigt.
Was ist denn in einem solchen Notfallset enthalten?
In einem Notfallset sind in der Regel ein Cortison-Präparat, ein Antihistaminikum und ein Adrenalin-Autoinjektor zur intramuskulären Anwendung enthalten.
Was kann man gegen eine allergische Reaktion auf Insektengift tun?
Am Wichtigsten ist erstens die Vermeidung eines Stiches, dann zweitens eine notfallmäßige Versorgung bei Auftreten einer anaphylaktischen Reaktion – Da gilt: lieber einmal zu viel ins Krankenhaus fahren als einmal zu wenig! Und drittens, ist eine weitere Abklärung der Allergie auf ein oder gar mehrere Insektengifte und die Klärung einer Behandlung durch Hyposensibilisierung dringend erforderlich.
Gibt es eine Immunisierung auf das Gift von Wespe, Biene und Co.?
Es gibt so genannte Hyposensibilisierungen auf Wespen- und Bienengift. Das ist eine subkutane Immuntherapie, also in Spritzenform, die stationär beginnt, mit einer so genannten „Aufdosierungsphase“ bis zur Erhaltungsdosis. Aufgrund des Risikos der allergischen Reaktion während der Aufdosierungsphase ist dringend zu einer Einleitung der Therapie unter stationären Bedingungen zu raten. In unserer Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde führen wir die Einleitung der Therapie nach vorangegangenen Haut- und Bluttestungen und nach einem dreitägigen Ultra-Rush-Schema durch. Der stationäre Aufenthalt dauert in der Regel vier Tage. Die Fortsetzung der Therapie erfolgt dann ambulant, z. B. bei einem niedergelassenen HNO-Arzt oder Ärztin, und sollte 3-5 Jahre durchgeführt werden. Dringend zu beachten ist, dass auch während der Hyposensibilisierung in der Flugzeit der Insekten das Notfallset dauerhaft mitzuführen ist.
Gibt es eine Heilung der Wespen- / Bienengiftallergie?
Nach einer fünfjährigen Behandlung der so genannten Hymenopterengiftallergien liegt die „Heilungschance“ im Sinne des Ausbleibens einer schweren anaphylaktischen Reaktion bei erneutem Stich für Bienengiftallergiker laut Studienlage bei über 80%, bei Wespengiftallergikern bei über 95%.