„Und dann kamen auch die Freunde nicht mehr". Je weiter eine Demenz fortschreitet, umso schwieriger wird es für die pflegenden Angehörigen, den Kontakt zu Freunden sowie Freizeitaktivitäten außer Haus aufrechtzuerhalten. Dipl.-Psychologin Bianka Mohn rät zu mehr Offenheit, die allen Beteiligten hilft.
Über 70 % der demenziell erkrankten Menschen leben zu Hause und werden von Angehörigen, zumeist den Ehepartnern versorgt und betreut. Ist es im Anfangsstadium der Krankheit oft noch möglich, zusammen aktiv zu sein, gemeinsam Sport zu treiben, spazieren zu gehen, Einkäufe zu erledigen und Freunde zu besuchen, so wird das im Laufe der Zeit immer schwieriger und damit solche Aktivitäten auch seltener – bis sie ganz aufhören.
Dabei muss dies nicht einmal daran liegen, dass der Demenzkranke körperliche Fähigkeiten einbüßt, z.B. im Gang unsicher wird. Oft zieht sich der Erkrankte einfach nur mehr und mehr in sich zurück, wird antriebsarm und möchte den „privaten Pfleger" am liebsten ganz allein für sich.
Für diesen bedeutet es jedoch eine erhebliche Einschränkung der eigenen Lebensqualität. Menschen, die einen Angehörigen zu Hause pflegen, wünschen sich aber weiterhin soziale Kontakte, ermunternde Gespräche oder einfach nur ein bisschen Abwechslung in Form von Informationen aus der „Außenwelt", an der sie selbst immer seltener teilnehmen können.
Das Verhalten von Freunden ändert sich nach der Diagnose Demenz
Nun berichten Rehabilitanden leider sehr oft, dass sich sowohl Freunde als auch Verwandte ihrerseits zunehmend zurückzögen. Anrufe und Besuche fänden immer seltener statt. Begegnungen auf der Straße blieben oft oberflächlich, Fragen nach dem Befinden wirkten eher wie „Anstandsfloskeln". Zu einem eigentlichen Gespräch mit spürbarem Interesse der Anderen komme es oft gar nicht. „Nach meinem Mann/meiner Frau erkundigen sich die Leute schon manchmal, aber auch zu fragen, wie es mir eigentlich geht, darauf kommt kaum jemand..." – auch das ist eine Erfahrung, die pflegende Angehörige oft schildern. Der Demenzkranke steht im Fokus der Aufmerksamkeit und der Sorge. Was es aber bedeutet, tagtäglich mit ihn zusammen zu sein und ihn zu versorgen, das interessiert offenbar kaum jemanden.
Die Angehörigen demenzkranker Menschen fühlen sich dadurch allein gelassen, unverstanden und nicht selten gekränkt. Dabei machen sie sich natürlich Gedanken, warum Menschen, denen sie oft zuvor recht nahe standen, sich plötzlich so verhalten. Aber warum? Oft spielen Unsicherheiten und fehlende Kenntnisse über die Erkrankung eine Rolle. Was bedeutet eigentlich Demenz, ist es dasselbe wie „Alzheimer"? Wie äußert sich die Erkrankung, vergesslich, verwirrt oder „tüdelig" waren die alten Menschen früher doch auch – was ist jetzt anders? Freunde und Bekannte wissen nicht, wie man sich mit dem Erkrankten unterhalten soll, was er noch versteht und wie er reagieren wird. Über ihn zu sprechen, ist nur möglich, wenn er bzw. sie nicht dabei ist. Dabei möchte allerdings niemand „dumme Fragen" stellen. Diese Hilflosigkeit ist verständlich, oft haben die Angehörigen sie zu Beginn der Erkrankung selbst erlebt, mussten aber lernen, damit umzugehen.
Demenz geht uns alle an
Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, offen mit der Erkrankung – ob Alzheimer- oder einer anderen Form der Demenz – umzugehen. Dabei dürfen die Angehörigen keinesfalls allein gelassen werden, sie sind anfangs genauso unerfahren und hilflos wie die Erkrankten selbst und die meisten Menschen in ihrem Umfeld. Unwissenheit macht unsicher und Unsicherheit macht Angst.
Pflegende Angehörige erhalten im Rahmen ihrer Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik für pflegende Angehörige im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg deshalb umfassende Informationen über Demenzerkrankungen, ihre Auswirkungen und einen angemessenen Umgang mit den Betroffenen.
Die Gesellschaft ist - das heißt, wir alle sind - in der Verantwortung! Wir müssen uns und andere informieren und aufklären, wir müssen Erkrankte in das „normale Leben" weitestgehend integrieren, damit auf diese Weise auch die Isolation der Angehörigen vermieden wird. Dabei müssen wir in Kauf nehmen, dass wir mit der eigenen Verletzlichkeit, der Möglichkeit, selbst zu erkranken und der Endlichkeit unseres eigenen Lebens konfrontiert werden. Das zu vermeiden, ist sicher oft ein Grund für den Rückzug von Freunden und Bekannten bzw. auch Familienangehörigen im Kontext demenziell oder anderweitig lebensbedrohlich erkrankter Menschen.
Selbstlosigkeit und dauernder Verzicht verbittert Pflegende und macht sie krank
Nun kommt hinzu, dass die pflegenden Angehörigen selbst niemandem zur Last fallen wollen – „schließlich hat ja jeder seine eigenen Probleme..." Sie halten sich in Gesprächen zurück und berichten nicht, wie belastet und überfordert sie sich manchmal fühlen. Sie sagen ihrerseits Einladungen ab, um anderen nicht „die Stimmung zu verderben" oder nicht zu viel Rücksichtnahme aufgrund der veränderten Bedürfnisse und Ansprüche des Erkrankten zu verlangen. Da Familienfeiern oder auch nur Besuch und Gespräche mit mehreren Personen die Erkrankten oft sehr anstrengen oder überfordern, verzichten die Angehörigen zunehmend auch darauf.
Auch ein „Schwätzchen" mit dem Nachbarn im Treppenhaus, über den Gartenzaun oder mit Bekannten beim Einkauf findet immer seltener statt, da man in Eile ist, wenn der erkrankte Ehemann beispielsweise allein zu Hause wartet und man nicht sicher sein kann, ob er diesmal doch Angst bekommt und sich auf die Suche begibt oder „Dummheiten" macht. So kommt es immer mehr zum sozialen Rückzug. Die Lebensfreude sinkt, da schöne Erlebnisse und Begegnungen mit anderen Menschen immer weniger werden. Rehabilitanden berichten außerdem, dass sie sich zunehmend einsam fühlen, weil ihr Ehepartner durch die Erkrankung als wirklicher Gesprächspartner zunehmend wegfällt. Vor allem bei Paaren, die es gewohnt waren, ihre Freizeit fast ausschließlich gemeinsam zu verbringen und zu gestalten, stellt die Demenzerkrankung ein erhebliches Risiko dar, dass auch der „gesunde" Partner erkrankt – d.h. beispielsweise depressiv wird, da die gewohnten Lebenssinn- und Lebensfreude stiftenden Aktivitäten immer seltener umsetzbar sind.
Die Betroffenen werden niedergeschlagen und lustlos, stehen nur noch ungern auf (Morgentief), grübeln viel und sehen kaum noch eine Zukunftsperspektive für sich. Nicht selten berichten unsere Rehabilitanden, dass sie es manchmal besser finden würden, „nicht mehr leben zu müssen". Die Verzweiflung geht manchmal tatsächlich so weit, dass es bereits konkrete Gedanken zur Durchführung eines Suizids gegeben hat. Allein das Verantwortungsgefühl für den erkrankten und auf Hilfe angewiesenen Angehörigen hält Menschen manchmal davon ab, konkreter über einen Suizid nachzudenken oder ihrem Leben tatsächlich ein Ende zu setzen.
Aktiv werden und neue Wege gehen
Während ihrer stationären Behandlung in der Rehabilitationsklinik lernen die Angehörigen, wie wichtig es ist, gut für sich selbst zu sorgen, eigene Bedürfnisse und Wünsche – auch nach Begegnung und Kommunikation – ernst zu nehmen und, wenn nötig, neue Wege zu gehen, um diese zu erfüllen. Sie machen hier oft zum ersten Mal die Erfahrung, dass die Gespräche mit ähnlich Betroffenen in der Gruppe entlasten, dass sie hier Verständnis und Solidarität erfahren. Das ermutigt sie oft, sich im Anschluss an die hiesige Rehabilitation, zu Hause einer Gruppe pflegender Angehöriger anzuschließen.
Auch die Freude an sportlicher Betätigung, am Musizieren oder kreativem Gestalten innerhalb der therapeutischen Angebote motiviert unsere Rehabilitanden, sich später am Wohnort nach vergleichbaren Angeboten umzusehen und diese – manchmal erstmalig – ohne ihren Ehemann bzw. ohne die Ehefrau aufzunehmen. Dazu ist es wiederum erforderlich, ambulante oder teilstationäre Betreuungsangebote für den erkrankten Partner, z.B. eine Tagespflege, in Anspruch zu nehmen.
Mehr Informationen über die Leistungen der Rehabilitationsklinik für pflegende Angehörige im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg oder telefonisch unter 04541 13 38 00.