Warum sind Betroffene und ihre Partner, Familien und Freunde nach der Diagnose Krebs kaum in der Lage, über den Krebs und ihre Gefühle zu sprechen? Wie findet man gemeinsam einen Weg aus der Sprachlosigkeit? Darüber unterhalten sich Oberarzt Eike Hansen (Internist) und Diplompsychologin Angelika von Aufseß. Beide arbeiten täglich mit onkologischen Patienten, die eine Reha absolvieren im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg.
Arzt:
Eine Krankheitsdiagnose wie zum Beispiel Krebs ist für Betroffene ein einschneidendes, lebensveränderndes Erlebnis. Zahlreiche Gefühle und Gedanken prasseln auf die Erkrankten ein. Plötzlich empfindet man es als schwierig, miteinander hierüber zu sprechen. Es scheint manchmal für die Erkrankten ebenso wie für diejenigen, die sie lieben oder gut kennen, so verunsichernd zu sein, dass eine Sprachlosigkeit entstehen kann. Ist das schlecht? Und was kann man tun?
Psychologin:
Sprachlosigkeit im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung ist zunächst etwas sehr Normales. Sie ist nicht schlecht oder gut, sie passiert oft. Wenn sie aber bleibt und z.B. die Partner nur über das Wetter, den Hund, die kaputte Geschirrspülmaschine reden und nicht über ihre Gefühle, wenn mit Kindern, Eltern, Geschwistern, Freunden nurmehr Belanglosigkeiten ausgetauscht werden, dann ist es höchste Zeit für aktive Schritte in Richtung offener und direkter Kommunikation.
Arzt:
Was ist denn damit gemeint? Wie kann man da aktiv werden?
Psychologin:
Die große alte Dame der humanistischen Psychologie, Ruth Cohn, hat einmal gesagt: „Wenn du nicht mehr weiter weißt, sag einfach, was mit dir ist!“ Das gilt es (neu) zu lernen: sagen, wie ich mich fühle, was ich brauche, was ich nicht brauchen kann. Daran arbeiten wir Therapeuten z.B. während der Rehabilitation in den Gruppen oder in den Einzelgesprächen.
Auch die Angehörigen müssen lernen, ihre Verunsicherung in Worte zu kleiden, statt mit Floskeln um sich zu werfen (Kopf hoch, du schaffst das schon, wird schon wieder …) oder sich in die Sprach- und Kontaktlosigkeit zu flüchten. Manchmal sind es ganz einfache Sätze wie z.B.: „Ich möchte so gerne etwas für dich tun, aber ich weiß gar nicht, was du von mir brauchen kannst.“ Meistens erleben Patienten und Angehörige es als sehr entlastend, wenn die eigenen Gefühle den Weg in die Sprache finden.
Arzt:
Wenn Ärzte mit Patienten über Krankheit sprechen, können Gespräche zu Enttäuschungen führen: Falsche Worte, als gefühllos empfundene Gespräche, das Gefühl, der Arzt habe keine Zeit für sie. Am Ende eines solchen Gesprächs bleibt ein Vertrauensverlust, es bleiben Ängste und Hilflosigkeit. Wenn das passiert ist, was kann man tun, um wieder Vertrauen zu entwickeln?
Psychologin:
Nach meinem Eindruck gelingt die Kommunikation zwischen Arzt und Patient heute insgesamt besser als früher. Viele Ärzte haben im Laufe ihrer Ausbildung gelernt, einfühlsamer mit ihren Patienten umzugehen. Dennoch kommt es immer noch vor, dass eine Krebsdiagnose unsensibel vermittelt wird oder die Behandlung im Eiltempo, gewürzt mit unverständlichen Begriffen, vorgestellt wird. Um solche Erfahrungen zu vermeiden, empfehlen wir Patienten, eine Vertrauensperson zu Gesprächen mit dem Arzt mitzunehmen. Ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, also ist ein Patient enttäuscht vom Arztkontakt, gilt auch hier der Satz von Ruth Cohn: Sagen Sie Ihrem Arzt, was mit Ihnen ist, z.B., dass Sie sich nicht ernst genommen fühlen, dass Sie seine Worte noch nicht verstanden haben, dass Sie sich mehr Aufmerksamkeit wünschen (wenn z.B. während des Gesprächs ständig telefoniert wird …). Als letztes Mittel empfiehlt sich ein Arztwechsel. Nie ist eine vertrauensvolle Beziehung zum Arzt so wichtig wie bei einer Krebserkrankung. Die meisten Ärzte wissen das und versuchen, sich danach zu richten.
Arzt:
Wenn Du eine Bitte an das medizinische Personal hättest, eine an Angehörige und eine an Kranke, worum würdest Du sie bitten, damit wir über Krankheit miteinander sprechen können?
Psychologin:
Bevor ich eine Bitte an das medizinische Personal äußern würde, würde ich an Arbeitgeber in Kliniken und Praxen appellieren: Schult Eure Leute in Kommunikation! Dann die Bitte an Ärzte, Therapeuten, Pflegende: Behandelt Eure Patienten mit Respekt! Erklärt ihnen, was Ihr tut und warum Ihr es tut! Begegnet ihnen mit wertschätzender Offenheit! Behaltet auch unter Zeitdruck das nötige Mitgefühl für Menschen, die mit einem lebensverändernden Ereignis konfrontiert sind und Zeit brauchen, die Folgen für Leib, Seele und die Beziehungen zu anderen Menschen zu verarbeiten.
An die engsten Angehörige würde ich die Bitte richten: Geht liebevoll und ehrlich mit dem Kranken um und – das ist ganz wichtig! – sucht euch Menschen (Freunde, Verwandte oder professionelle Helfer), mit denen Ihr reden und Euch so emotional entlasten könnt. Damit helft Ihr dem Erkrankten am besten.
An die Kranken: Erlaubt euch mehr denn je, Grenzen zu setzen („ich möchte lieber nicht“) und Wünsche zu äußern („kannst du bitte“, „ich brauche von dir“ …). Nicht zufällig steckt in dem Ausdruck sich anderen Menschen zu-muten das Wort Mut. Mutet euch den Menschen in eurer Umgebung zu! Jetzt ein paar Fragen an Dich als Arzt. Wenn Du an geglückte Begegnungen mit Krebspatienten denkst, was hat dazu geführt, dass die Kommunikation für beide Seiten gelungen ist?
Arzt:
Zunächst einmal bin ich immer glücklich, wenn kein Zeitdruck in einem Gespräch stört. Dann gelingt es viel leichter, mit Herz und Kopf ganz beim Patienten zu sein. Es ist also entscheidend, das ideale Umfeld zu schaffen oder zu haben. Die besten Gespräche entstehen ohne Zeitdruck in einer Atmosphäre von gegenseitigem Interesse und Empathie. Aus solchen Gesprächen bin ich manchmal mit dem Gefühl gegangen, mindestens so viel wie der Patient gelernt zu haben.
Psychologin:
Welche Bitten würdest Du an Patienten richten?
Arzt:
Ich bitte Patienten um Vertrauen und Verständnis. Gegenseitiges Vertrauen ist die Basis eines Gesprächs, aus dem wir hinterher mit einem Gewinn für beide gehen. Vertrauen zu erhalten, obwohl man sich erst kennenlernt, ist ein großes Geschenk. Verständnis zu finden, wenn man Fehler im Gespräch macht, ist ein noch größeres Geschenk.
Psychologin:
Und welche Anforderungen stellst Du an Dich selbst, damit Kommunikation gelingt?
Arzt:
Ich möchte die Bereitschaft behalten, weiter zu lernen. Wenn Gespräche nicht funktionierten, möchte ich darüber nachdenken können, warum es nicht funktioniert hat und was ich hätte besser machen können oder sollen. Und ich möchte geduldig daran arbeiten, aus meinen Fehlern zu lernen. Ich möchte Patienten, die die Sprachlosigkeit erleben und erleiden, einladen, mit uns im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg gemeinsam zu lernen und einen Weg aus der Verunsicherung zu finden. Möchtest Du noch etwas zum Abschluss unseres Gespräches sagen?
Psychologin:
Ich nutze die Gelegenheit, um deine letzten Worte mit Nachdruck zu bestätigen. Eine Krebserkrankung zu bewältigen ist kein Zustand, den man erreicht hat oder nicht, sondern ein Lernprozess. Ein Weg, auf dem Patienten, ihre Angehörigen, Freunde und die professionellen Begleiter (Ärzte, Therapeuten, Pflegende) gemeinsam Erfahrungen machen und so Schritt für Schritt auch zusammen die Sprachlosigkeit überwinden.
Mehr Informationen
Über die onkologische Rehabilitation im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg und telefonisch: 04541/13-3800