Die Demenzerkrankung des Partners lässt lang gehegte Träume vom gemeinsamen Lebensabend einfach zerplatzen. Kann man sich die eigene Lebensfreude erhalten, wenn sich der betroffene Partner immer mehr zurückzieht und man schon bald „zu zweit allein“ ist? Ja, es geht, und man kann es lernen, weiß die Psychologin Bianka Mohn aus der Therapiearbeit mit Angehörigen, die ihre erkrankten Partner versorgen.
„Ich hatte mir unser Leben ganz anders vorgestellt.“ Menschen machen Pläne, haben klare Vorstellungen von ihrem Leben, aber auch Wünsche und Träume. Der russische Pädagoge A.S. Makarenko hat gesagt „Der Mensch kann auf Erden nicht leben, wenn er nichts Freudiges vor sich sieht“. Nur verständlich also, dass sich Frauen und Männer, die auf ihren letzten Lebensabschnitt blicken, sich diesen so schön wie möglich vorstellen und ausmalen.
Die meisten der Rehabilitanden in der Rehabilitationsklinik für pflegende Angehörige im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg haben ein langes Leben voller Arbeit und Verantwortung für andere hinter sich, haben mit dem Partner ein Haus gebaut, sich eingerichtet, Kinder großgezogen, sie haben den Krieg und die entbehrungsvolle Zeit danach miterlebt. Viele von ihnen haben zunächst lernen müssen, mit wenig auszukommen und dann zumeist grundsätzlich eher sparsam gelebt, etwas für „den Notfall“, aber auch „für später“ zurückgelegt.
Wenn wir beide in Rente gehen, dann ...
Oft ist dieser Satz von den Rehabilitanden zu hören: „Wir hatten uns so auf unsere Rentenzeit gefreut!“. Viele hatten sich vorgenommen zu reisen, andere Länder kennenzulernen und dafür mehr als nur zwei oder drei Wochen Urlaub zur Verfügung zu haben. Nicht wenige hatten geplant, sich ein Wohnmobil zuzulegen, weil das für sie am ehesten mit einem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit verbunden war. Endlich das angesparte finanzielle Polster für die schönen Dinge des Lebens nutzen… ins Theater gehen, Konzerte genießen, die entfernt wohnenden Kinder besuchen.
Doch dann kam alles anders ...
Der Ehemann interessierte sich plötzlich gar nicht mehr für die Reisepläne seiner Frau. Wenig beteiligt überließ er ihr die Wahl des Urlaubsziels. Am Urlaubsort fand er sich nur schwer in der Hotelanlage zurecht, versuchte aber seine beginnenden Orientierungsschwierigkeiten gekonnt zu überspielen. Er war oft müde und hatte nach den Aktionen des Tages oft keine Lust mehr, den Abend mit seiner Frau und anderen Feriengästen zu genießen, sondern wollte lieber schlafen. Auch beteiligte er sich immer seltener an Gesprächen…
Plötzlich zu zweit allein
Auch zu Hause wurden Gespräche miteinander immer weniger. Wenn Besuch da war – die Kinder oder alte Freunde – war anfangs zumindest noch ein Bemühen ersichtlich. Da fiel die Veränderung Anderen manchmal noch gar nicht auf. „Was du nur hast, er ist doch wie immer!“ bekommen Angehörige in der ersten Zeit der Erkrankung zu hören. Aber die Strategie, die eigenen Defizite zu überspielen, funktioniert eben nur noch kurz. Werden die Gespräche länger, fehlen den Demenzkranken die Worte (Wortfindungsstörungen) oder sie haben einfach nicht mehr genug Energie, sich zu beteiligen (Antriebsminderung).
Zu zweit – ohne Besuch – fällt das Sprechen oft ganz weg. Der bzw. die Erkrankte sitzt immer öfter in sich gekehrt in einem Sessel und „döst“ vor sich hin. Auf Ansprache kommt mitunter nur eine kurze Antwort – „ja…, nein…, weiß ich nicht“! Miteinander zu reden ist allerdings etwas, was Menschen verbindet. Wie viele Paarbeziehungen gesunder Menschen scheitern, weil einfach kein Gespräch mehr möglich ist. Könnten sie miteinander sprechen, wäre mitunter der dahinterliegende Konflikt auch zu lösen und eine Trennung wäre vermeidbar.
Wie schwer muss es erst sein, einen geliebten Partner zu pflegen, zu betreuen, seine veränderten, oft schwierigen Verhaltensweisen auszuhalten, aber nicht mehr mit ihm reden zu können? Manche Angehörige beschreiben dies als die schwierigste Auswirkung der Demenzerkrankung im Zusammenleben, belastender gar als die körperlichen Anstrengungen der Pflege.
Abschied - nicht nur von den Zukunftsplänen
Erinnerungen aus der Kindheit sind oft so tief im Gedächtnis verankert, dass diese tatsächlich abrufbar sind und dem Betroffenen ein Wiedererkennen und ein Stück Sicherheit geben, wenn man davon erzählt oder alte Fotos hervorholt. Die schönen Erlebnisse aus der gemeinsamen Ehezeit jedoch sind oft bereits vergessen oder nur noch bruchstückhaft „hervorzuholen“.
So sind Angehörige ebenso enttäuscht, wenn sie nicht mehr gemeinsam mit ihrem Partner dankbar auf die Höhepunkte ihres Lebens zurückblicken können. Fotos vom Urlaub am Meer, vom alljährlichen Winterurlaub und den Ski-Touren durch die Alpen oder der Hochzeit der Kinder… Die gemeinsame Freude beim Ansehen bleibt aus. Selbst rückblickend geht das Miteinander nach und nach verloren.
Angehörige haben große Angst vor dem Zeitpunkt an dem der Demenzkranke die Kinder oder gar sie selbst nicht mehr erkennt und beim richtigen Namen nennt. Dann droht – vom Gefühl her – auch ihre Identität als Paar und Familie zu zerbrechen. Zuvor verliert allein der Erkrankte selbst seine Ich-Identität und sein Zugehörigkeitsgefühl.
Umdenken, Neues beginnen
Lebenszufriedenheit und vielleicht auch wieder Lebensfreude bei den Angehörigen während ihrer Rehabilitation zu aktivieren, ist ein Ziel unserer psychosomatischen Behandlung im Alzheimer Therapiezentrum. Hier ist Umdenken gefragt, Ziele und Wünsche müssen neu definiert werden, damit Enttäuschungen nicht vorprogrammiert sind. Das, was früher Lebenssinn und Lebensfreude vermittelt hat, ist nicht mehr oder nicht mehr gemeinsam mit dem Partner möglich.
Freizeitaktivitäten allein oder mit Freunden zu planen und den Partner dabei außen vor zu lassen, fällt den meisten Angehörigen denkbar schwer. Oft gestatten sie es sich – zumindest zu Beginn ihrer Reha – aufgrund von Schuldgefühlen überhaupt nicht, daran zu denken. Auch haben viele – und hier sind es ganz besonders die Frauen – gar nicht gelernt, allein für ihr Wohlbefinden zu sorgen und sich etwas Gutes zu tun.
„Mir geht es gut, wenn es meinem Mann gut geht!“ – Ein typischer Satz von Ehefrauen pflegebedürftiger Männer. Eigene Wünsche und Bedürfnisse zu benennen, nach Dingen bzw. Aktivitäten zu suchen, die vielleicht früher einmal Spaß gemacht haben, für die aber im Laufe des Lebens oder zum Schluss durch die Pflege keine Zeit mehr blieb. Sehnsüchte auszusprechen ist oft ein erster Schritt im Rahmen unserer Behandlung, aus der Alltags-Pflege-Routine auszubrechen und Neues auszuprobieren. Der zweite Schritt: Nicht gleich wieder den eigenen Bremsklotz davorzulegen – „Geht ja sowieso nicht, wo soll ich mit meinem Mann/meiner Frau hin…?“
Dass ein zweistündiger Stadtbummel mit einer Freundin dem zurückgelassenen demenzkranken Ehemann nicht schadet, dass der wöchentliche Kegelabend zur eigenen Entspannung beiträgt und dann auch wieder durch „bessere Laune“ dem erkrankten Partner zugutekommt oder gar ein Sieben-Tage-Kurzurlaub mit alten Kollegen (kleine) Wunder bewirken kann, können Frauen und Männer nach und nach zulassen, ohne gleich beim „Daran-Denken“ ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Besonders hilfreich, weil selbst erlebt, sind hierbei die positiven Erfahrungen von Betroffenen, die von solchen oder ähnlichen Beispielen in der Angehörigenschulung oder der Gruppenpsychotherapie berichten. Wenn Patienten am Ende der Behandlung sagen: „Ich werde wieder einmal wöchentlich zum Sport gehen und dafür die stundenweise Betreuung für meinen Mann zu Hause in Anspruch nehmen“ oder „Wenn meine Frau in Tagespflege ist, werde ich nicht mehr nur einkaufen und Arzttermine absolvieren, sondern auch mal wieder meinen Freund besuchen oder angeln gehen“, dann ist oft wieder ein wenig Hoffnung und Zukunftsperspektive spürbar. Ein gutes Behandlungsergebnis, finde ich!
Weitere Informationen
Die Rehabilitationsklinik für pflegende Angehörige im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg gibt Auskunft über ihre Rehaleistungen und die Mitnahme des Demenzbetroffenen. Telefonische Beratung: 04541 13 38 00.